Colitis ulcerosa

Ein kranker Mensch und sein homöopathisches Mittel

Ein Vortrag von Dr. med. Willibald Gawlik, gehalten am 3.4.1997
auf dem Kongress »Homöopathie für die Welt« in Berlin

ein Bericht von Brigitte Reuter

Dr. Gawlik schilderte den Fall einer Patientin aus dem Homöopathischen Krankenhaus in München: Die Frau litt seit ihrem achten Lebensjahr an Colitis ulcerosa. Ihr Händedruck war ohne Kraft, sie sprach sehr langsam und trocken. Sie sagte, dass sie sehr wenig Zeit habe... Dr. Gawlik beschrieb sie als »farblos«, mit schmalen Lippen. Sie hatte durchschnittlich zwei Schübe von Colitis ulcerosa im Jahr, mal mit und mal ohne Fieber. Wenn Fieber vorhanden war, bekam sie immer einen Lippenherpes dabei.

Die Frau erzählte sehr langsam. Sie schilderte den akuten Schub mit folgenden Symptomen:

  • starke Tenesmen
  • spritzender Stuhl
  • keine Beschwerden nach Mitternacht
  • der Stuhlgang beginnt in den frühen Mittagsstunden
  • dem Stuhl ist Blut beigemischt
  • Fieber mit Lippenherpes, mal an der Ober-, mal an der Unterlippe, der Herpes heilt nur langsam ab
  • Verschlechterung durch Kartoffelbrei
  • Schwäche nach Stuhlgang
  • Abneigung gegen Schwarzbrot
  • schneidende Bauchschmerzen

Sie hatte ein § 153-Symptom: Sie hatte von ihrem Arzt Tinctura Opii Simplex verschrieben bekommen. Ihre Reaktion darauf: plötzlicher, nicht aufzuhaltender Stuhlgang! Das bedeutet: Ihr Körper reagierte vollkommen entgegengesetzt zu dem, was pharmakologisch zu erwarten war! Sie trinkt am liebsten warmes Wasser.

Sie erzählt, dass sie einen (den ersten?) Schub bekam, als ihre Großmutter starb, die sie aber nicht mochte. Die Großmutter liebte das Meer. Weiter erzählte sie, dass sie sich von ihrem Freund (»den mochte ich sowieso nicht«) getrennt hat, als sich dieser bei ihrer Mitteilung, dass sie schwanger sei, nicht gefreut habe. (Später stellte sich heraus, dass sie doch nicht schwanger war.)

Dr. Gawlik: »Ein Symptom, das nicht vorhanden ist, ist kein Symptom! D.h.: Nehmen wir an, wir haben einen Patienten, dessen Symptomatik für Sulfur spricht, aber ein sehr typisches Symptom von Sulfur ist nicht bei ihm vorhanden, so spricht das nicht gegen die Verordnung von Sulfur.«

Dr. Gawlik nannte als seine Standardmittel bei Colitis ulcerosa Aethiops antimonialis und Aloe. In diesem Fall aber war natürlich ein anderes Mittel deutlich angezeigt: Natrium muriaticum. Diarrhoe nach (Tinctura) Opium: Mur.-ac., Nat.-m., nux.-v., Puls.
(Synthesis, 3. Aufl. 1995)

Sie bekam also Nat.-m., zunächst in der Q1. Es trat eine Erstverschlimmerung am ersten Tag auf. Am dritten Tag weinte sie: Der Kummer kam endlich heraus! Sie hatte gelebt wie Aschenputtel. Ihre Mutter hatte während der Schwangerschaft drei Abtreibungsversuche unternommen! Sie bekam weiter Nat.-m., und zwar ansteigend Q1 bis Q12, wobei sie jede Potenz nur zwei- oder dreimal einnahm, und dann zur nächsthöheren wechselte. Sie blieb beschwerdefrei!

Dr. Gawlik: »Ein Homöopath, der ohne ordentliche Diagnose arbeitet, ist wie ein Maulwurf: Er arbeitet im Dunkeln und hinterläßt frische Erdhügel.«

Der Dickdarm ist der Teil, wo die ganz schweren Psychotraumata liegen!

Dr. Gawlik: »Vorsicht: Nichts in den Patienten hineindenken bzw. hineinpsychologisieren!«
Nat.-m. sei bei dieser Patientin schon beim ersten Termin - und zwar nur nach den rein somatischen Symptomen - das Mittel der Wahl gewesen. »Natrium und Chlor sind als Elemente von sehr destruktiver Natur, in ihrer Verbindung jedoch, im Kochsalz, haben wir einen Stoff, der uns hilft, den Weg zur Transzendenz zu finden.« Er bezeichnete es als »Windstille der Seele«. »Der Sturm der Seele kann durch Nat.-m. geglättet werden.« Und: »Wenn einem das Leben versalzen ist, hilft Nat.-m.«

Natriumchlorid ist in der Lage, gammastrahlende Elemente aufzunehmen, neben Blei die einzige Verbindung, die dies kann. Es hat eine starke Abschirmfähigkeit. Man lese am besten bei Hahnemann »Chronische Krankheiten« nach, bei welchen Zuständen sich das Kochsalz in seiner potenzierten Form als heilkräftig erwiesen hat. Es ist eine der kräftigsten antipsorischen Arzneien.

Nach Dr. Gawlik ist es besonders angezeigt, wenn vorher Cortison gegeben worden ist. Natrium muriaticum ist nicht leicht zu antidotieren: Seine Antidote sind starke, explosive Mittel. Hahnemann in den »Chronischen Krankheiten«: »Das beste Antidot für Nat.-m. ist versüßter Salpetergeist, eine Mischung aus Alkohol, Wasser und Äthylnitrit (C2H5NO2).« Natrium muriaticum entspreche dem argentinischen Urtango: Traurigkeit und Verlust der Geborgenheit. Es vereine das Harte (Chlor) mit dem Weichen (Natrium). Chopin sei mit seinem Liebeskummer ans Meer gefahren; dort schrieb er ein Stück, das von Dur (das Harte) nach Moll (das Weiche) wechselt, und wurde schließlich wieder gesund. Nat.-m. helfe, den richtigen Weg zur Transzendenz zu finden, zu Demut und Bescheidenheit und Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer.

Zum Abschluss einige Sätze aus seinem Buch »Samuel Hahnemann: Synchronopse seines Lebens«: »Die stärkste Kraft der Welt ist das Pianissimo (Ravel). Genauso wie die Krankheit durch einen Reiz entsteht, muss der Organismus einen Reiz bekommen, und die Arznei ist praktisch das ähnliche Mittel. Die Grundidee der Philosophie der Hahnemannschen Lehre ist: Der Organismus wird zum Maßstab seiner eigenen Heilung. Der Organismus selbst zeigt, welche Substanz seine Heilung anzuregen in der Lage ist.«

Erstveröffentlichung:
Der Heilpraktiker - Volksheilkunde 5/98, S. 30

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